OTTO BUCHEGGER ERZÄHLT

2011 wurde in einer bis dahin beispiellosen Medienkampagne, ganz offensichtlich im Vorwahlkampf zu den Landtagswahlen am 27.3.2011, Deutschlands beliebtester Politiker, Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU), zum Rücktritt getrieben. Ich werde ihm übrigens immer dankbar dafür sein, dass er eines meiner wichtigsten politischen Ziele, die Abschaffung der Wehrpflicht, durchgesetzt hat.

Der Vorwurf, der ihm gemacht wurde, war das Plagiat. Nun habe ich als alter Mann, der lange Zeit auch an Universitäten und Hochschulen verbracht hat, eine etwas andere Meinung, als die vielen, die unter dem Vorwand des "Schutzes des geistigen Eigentums" empört gegen zu Guttenberg und andere, die einen Doktortitel tragen, vorgegangen sind.

Im Lehrbuch eines von mir sehr geschätzten Mathematikers stand im Vorwort:

Von einem Buch abschreiben - ein Plagiat,
von einigen Büchern abschreiben - ein Lehrbuch,
von vielen Büchern abschreiben - eine wissenschaftliche Arbeit.

Der Unterschied zwischen "Korrekt" und "Kriminell" liegt nach heutiger Ansicht im Hinzufügen oder Weglassen von Anführungszeichen und Fussnoten. Nicht der Inhalt oder die Aussage einer Arbeit zählt, sondern wie sie dargestellt wird. Über so viel Dummheit kann ich nur noch den Kopf schütteln.

Warum hat denn zu Guttenberg nicht zitiert? Also die kopierten Textpassagen unter Anführungszeichen gesetzt und die Quellen angegeben? Ich kenne seine Gründe nicht, aber ich finde, es war richtig, es nicht zu tun. Denn wer will denn so was noch lesen? Es ist einfach unpraktisch, auch wenn es wissenschaftlich aussieht. Und es ist auch unnötig, denn jede Suchmaschine findet die Quellen in Sekundenschnelle, wenn jemand daran interessiert ist.

In einer digitalen Welt, deren Inhalte schnell wachsen, die nichts mehr löscht oder vergisst und die alles sofort findet, muss zunehmend jedes neue Werk automatisch "ein Plagiat" werden, das heißt jeder Teil, der darin vorkommt, ist sicherlich schon einmal vorher gesagt oder geschrieben worden.

In der allgemeinen Hysterie sieht man heute überall Plagiate, ein wahrer Plagiatswahn ist ausgebrochen. Hoffentlich ändert sich die Bedeutung des Wortes schnell und kommt wieder zur ursprünglichen Bedeutung, nämlich, dass man ein Buch unverändert als Ganzes kopiert.

Dass diese Plagiats-Hysterie vor allem in Deutschland so blüht, liegt darin, dass der Dr. vor dem Namen als Auszeichnung angesehen wird und auch so verwendet wird. Dem könnte man leicht entgegensteuern, indem man akademische Titel in Dokumenten - wie es in vielen anderen Ländern auch Praxis ist - weglässt.

In der Musik früherer Generationen war es eine Ehre, wenn ein Stück abgeschrieben und leicht verändert wurde. Auch ich freue mich, wenn meine Fotos überall auftauchen und es ist mir dabei völlig egal, ob ich zitiert werde oder nicht.

In wichtigen Beiträgen weise ich ausdrücklich darauf hin, dass sie abgeschrieben werden sollen. Wenn sich bei mir auch noch in älteren Beiträgen Copyright Zeichen finden, dann habe ich sie schlicht übersehen, eigentlich sollte alles auf "Creative Commons" umgestellt sein.

In der Kunst ist es inzwischen selbstverständlich, Collagen zu gestalten. Man hat erkannt, dass Bruchstücke von existierenden Werken einen neuen Sinn und Wert ergeben. Die Wissenschaft ist ganz offensichtlich noch nicht soweit.

Ich würde mir sehr wünschen, dass "Google, Cut, Copy und Paste" den legalen Arbeitsmethoden zugerechnet wird und die Gesetze, Vorschriften und Richtlinien entsprechend angepasst würden. Wir müssen als Menschheit schneller lernen und dabei stehen uns die heutigen Schutzgesetze enorm im Weg.

Wer weiß, wie uneffizient Universitäten (auf Kosten der Steuerzahler) arbeiten und auch wie verlogen die existierenden Moralvorstellungen dort sind (es ist für einen Institutsvorstand selbstverständlich, dass sein Name auf jeder Veröffentlichung genannt wird, auch wenn er überhaupt nichts dazu beigetragen hat) dann ist auf diesem Gebiet wahrlich ein Paradigmenwechsel nötig.

So wie Johannes Gutenberg weiland durch die beweglichen Lettern den Buchdruck erfunden hat und den Wissenszuwachs der Menschheit revolutioniert hat, so wird hoffentlich die "zu Guttenberg Methode", das Verwenden von Textbausteinen (auch fremder Herkunft), das Produzieren von Schriftstücken verändern.

"Reuse", das Wiederverwenden, ist das Zauberwort für Produktivität. Wichtiger als alles andere ist der neue Gedanke, die neue Sicht, die Veränderung, und vor allem die Verbreitung. Die Regelkonformität ist meistens nur Schikane.

Wenn ich mich recht erinnere, dann ist die Dissertation mit abschließender Promotion der Nachweis, dass später eine Lehrtätigkeit ausgeübt werden darf. Und da würde ich zu Guttenberg viel lieber zuhören, als z.B. den Professoren, die in meiner Umgebung gegen ihn getrommelt haben.

Die meisten Schriftsteller wären ohne ihre Lektoren verloren. Viele Redner in der Politik haben selbstverständlich ihre Ghostwriter, die meisten Chefs könnten ohne die Hilfe ihrer Sekretärinnen keinen korrekten Brief schreiben und niemanden stört es.

Es ist eine Illusion zu glauben, dass wir noch alleine etwas fertigstellen können. Wir sind so verwoben in eine unterstützende Infrastruktur, dass entsprechende Erklärungen dazu sinnlos sind.

Jetzt einmal ganz abgesehen von der juristischen Seite und den vielen Versuchen der Unis, sich als "sauber" darzustellen: Wäre diese Affäre nicht ein guter Anlass einmal zu überdenken, wieviel unnötige Dokumente heute erstellt werde, die nur als Beweis oder Nachweis gebraucht werden, die aber dann doch kaum jemand liest und die keinen Wert für die Menschheit haben, aber hohe Kosten verursachen?

Seminararbeiten, Diplomarbeiten, Dissertationen, etc. wozu dienen sie eigentlich noch? Warum müssen sie in der Praxis alle einen Mindestumfang haben, warum ist Quantität so wichtig? Warum schüttelt man den Meinungsdruck von "Publish or perish" nicht einfach ab?

Wenn ich mir anschaue, was mir Erfolg gebracht hat, dann waren es nicht meine diversen wissenschaftlichen Publikationen, sondern meine nützlichen Hinweise, was funktioniert, was hilft, was motiviert, was tröstet, was interessant ist. Mein erfolgreichstes Youtube Video (inzwischen gelöscht), aber über 30.000 mal angeschaut, wurde in einer halben Stunde zusammengestellt, besser gesagt zusammengeschustert, einfach aus Frust, weil es niemand anderer gemacht hat und ein großer Bedarf dafür da war.

Um es klar zu sagen, ich unterstütze nicht Menschen, die betrügen, in dem sie Messergebnisse erfinden oder verfälschen, die haltlose Theorien verbreiten, die unseriös Populismus betrieben und die durch Verbreitung von Angst ihre Geschäfte finanzieren.

Aber ich habe große Sympathie für alle, die ihr Wissen großzügig teilen, die gut lehren, die mit ihrem Beitrag zur Besserung der Welt beitragen, die motivieren, die echte Probleme lösen. Und ich bin dafür, dass man diese Leistungen anerkennt, auch mit akademischen Auszeichnungen und Titeln.

Es hat sich bewährt, dass unsere Wissenschaftler Lehre und Forschung betreiben, und dass - nach Möglichkeit -  die Wissenschaft auch frei in ihren Entscheidungen ist. Aber dies alles muss mit vertretbaren Kosten passieren und was zur Kostenreduktion beiträgt, muss auch in die Elfenbeintürme Einzug finden. Und ich erwarte, dass generell alle Arbeiten, die auf Kosten der Steuerzahler produziert worden sind, auch gratis im Netz für alle verfügbar sind. Und vor allem fordere ich, dass man wesentlich sorgfältiger und verantwortungsvoller mit der Ressource Mensch umgeht.

Unsere akademische Welt glaubt, mit ihren bisherigen Ansichten im Recht zu sein. Die denkende Bevölkerung sieht es jedoch vielfach anders und sie wird hoffentlich ihre politische Kraft für notwendige Änderungen einsetzen.

Freude zum Schluss

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