OTTO BUCHEGGER ERZÄHLT

Es ist schon viele Jahre her, dass ich das Reisetagebuch von Hermann Graf Keyserling gelesen habe. Seinerzeit hat mich speziell der Untertitel "Der kürzeste Weg zu sich selbst führt um die Welt herum" angezogen. Ich bin mein ganzes Leben viel gereist und seit einiger Zeit ja selbst so etwas wie ein Reiseschriftsteller geworden. Nur dass ich statt langen Texten viele Fotos einsetze. Und es stimmt, durch Reisen lernt man sich besser kennen und nebenbei gesagt, auch seine Heimat besser schätzen.

Von der Fülle der im Buch angebotenen Weisheiten ist mir eine besonders in Erinnerung geblieben. Sie lautete etwa so: Am angenehmsten ist es mit Menschen zu leben, die zu dir freundlich sind, aber kein Interesse an dir haben. Gemeint ist damit, sie wollen dich nicht verändern, die wollen dich nicht ausnutzen, sie lassen dich so sein, wie du es willst oder kannst, sind aber trotzdem freundlich zu dir.

Wenn ich mich recht erinnere, hat Keyserling dies in Japan so empfunden. Als 2008 in Deutschland der Bundespräsident Horst Köhler von einem "freundlichen Desinteresse" der Deutschen zu ihren Soldaten sprach, bekam der Begriff eine negative Seite, denn es gab viele Stimmen, die dies verändern wollten. Auch in anderen Zusammenhängen kommt das freundliche Desinteresse in Deutschland nicht gut an.

Wir können schlecht zusehen, wenn - in unseren Augen - Unrecht passiert, versuchen zu helfen, wo es nur geht, auch wenn die Hilfe gar nicht so ankommt, wie wir uns das vorstellen. Wir wissen immer gleich, wer die "Guten" oder die "Bösen " sind, was richtig oder falsch ist und mischen uns deshalb gerne ein. Wir analysieren und kritisieren gerne, sehen dabei vor allem die Nachteile und geben ihnen zuviel Gewicht. Dabei hat alles seine Schattenseiten, selbst die schönste Rose hat ihre Dornen, aber wer stets nur die Dornen sieht, wird Probleme haben, sich an Lebensqualität zu erfreuen.

Gelbe Rose im Rosengarten der Universität Tübingen

Das Wort Gelassenheit wird als Wegsehen, als zu feige, um sich einzumischen, interpretiert. Hauptsache ist immer das Engagement, für etwas eintreten, andere überzeugen und worum es eigentlich geht, wird zur Nebensache. So kenne ich viele Menschen, die die Inhalte, für die sie sich einsetzen, auch beliebig austauschen. Heute dies, morgen das, Hauptsache wir sind "dafür" oder "dagegen", wobei das "Dagegen" überwiegt.

Gerade die Sozialen Netze sind dafür ein beliebtes Spielfeld. Da kann man schnell - und vordergründig auch ohne Folgen - mal was unterzeichnen und was teilen und niemand fragt tiefer nach und auch die Idee der Nachrichtensiebe bliebt völlig auf der Strecke. Populismus wird gegen Gründlichkeit eingetauscht, Ideologie gegen Bewährung in der Praxis. Hauptsache es sieht chic aus, passt in den Trend und klingt gut. Nebenfolgen werden verdrängt und man kommt gar nicht auf die Idee, dass man vielleicht das Gegenteil von dem erreicht, was man sich vorgestellt hat.

Dabei stammen viele der großen Probleme, die die Welt heute hat, aus einmal viel gepriesenen Lösungen. Aber die Komplexität unserer Welt lässt diese Zusammenhänge nicht mehr erkennen. Wir strengen uns nicht mehr an, Dinge wirklich zu verstehen, sie von verschiedenen Blickrichtungen zu betrachten oder Gegenargumente zu beachten und abzuwägen.

Bei den Komplexitäts- Tipps der Praxilogie gibt es einige Hinweise, wie man mit dieser Situation besser zurecht kommt. Ich fasse einiges davon hier so zusammen, dass es hilfreich ist, sich nicht überall einzumischen. Dass man als Außenstehender nicht alles verändern soll, vor allem wenn man davon nicht wirklich fundierte Ahnung hat. Und wenn man es trotzdem macht, dass man es vor großer Einführung auch wirklich testet. Selbst die überzeugendsten Ideengebäude können unter einer kleinen praktischen Schwierigkeit leicht zusammenbrechen.

Es wird in der entgrenzten Globalen Welt schwierig zu sein, dieses Desinteresse auch durchzuhalten. Die Versuchung ist groß, mehr auf sich zu beziehen, als uns tatsächlich trifft. Mir hilft dabei die Erfahrung des Alters: die vielen Hypes und die vielen Krisen, die ich alle ziemlich unbeschadet und gut überlebt habe, haben mit gelassener werden lassen.

Aber ich will hier gar nicht auf die übliche Medienschiene einschwenken. Ich vermute, dass die Motivation für dieses Handeln viel tiefer liegt und sich z.B. in den Missionsgedanken von Religionen äußert. Es geht vielen dort wirklich um das "Retten von Seelen", wenn auch mit aller Gewalt!

Diese Motivation zu beeinflussen, lebt auch in der säkularen Welt weiter. Es heißt dort z.B. dann Kampf für die Demokratie, für Menschenrechte, für Gleichberechtigung der Frauen, für unser kapitalistisches Wirtschaftssystem, kurz für westliche Werte, alles Themen zu denen ich auch beizutragen versucht habe. Es gibt genügend Beispiele für den Misserfolg dieser Bemühungen. Wie oft ist man dann im nachhinein viel klüger als vorher. Und wie oft sagt man dann, dass man gerade dieses Ergebnis nicht gewollt hat.

Den Kopf in den Sand zu stecken und eine Kontakte zu schließen lösen das Problem nicht. Aber wir könnten diese Kontakte kanalisieren. Warum nicht viele Brücken bauen, aber trotzdem unsere Interessen abgrenzen ? Warum nicht neugierig bleiben, aber trotzdem vorsichtig mit dem Einschätzen sein, was man dabei lernt. Warum nicht miteinander reden, aber trotzdem seine Meinung behalten?

Nicht jedes Problem, das uns über den Weg läuft, müssen wir lösen. Nicht jeder Aufforderung mitzumachen, müssen wir nachkommen. Wir können ruhig auch mal Sonderwege gehen und nicht wie die Lemminge alle nur in eine Richtung laufen.

Wir brauchen Vielfalt, sollen wir wirklich gute Lösungen finden, die lange halten. Deshalb brauchen wir viele verschiedene Meinungen und den Meinungsaustausch. Er kann nur erfolgreich passieren, wenn wir auch widersprüchliche Meinungen zulassen. Wer zu empfindlich ist, sogleich beleidigt ist, wer alles besser weiß, ohne die Argumente anderer zu hören, wer nur auf überlebte Ideologien hört, wird es schwer haben, richtige Entscheidungen zu treffen.

Mit freundlichem Desinteresse öffnen wir Kommunikationspfade, die verschlossen bleiben, wenn wir vorsichtig sein müssen. Jeder kennt das klassische Beispiel der Lebensbeichte im Bahnabteil, wo wir uns auch öffnen, weil wir keine Folgen zu fürchten brauchen.

Freundliches Desinteresse beeinflußt nur wenig die Freiheit des Angesprochenen. Aber die Freiheit bleibt beim Missionieren, beim Helfen und besonders beim Einmischen in Konflikte meist auf der Strecke. Deshalb können sie so problematisch sein.

Wer sich an dem Begriff "Freundliches Desinteresse" stört, dem empfehle ich als Ersatz Respekt und Toleranz. Sie drücken im wesentlichen das Gleiche aus. Warum nicht mit Wertschätzung, Aufmerksamkeit und Ehrerbietung beginnen und sehen, was sich daraus entwickeln wird? Warum nicht auch einiges ertragen oder erdulden, was sich leicht erdulden lässt oder uns nicht wirklich betrifft?

Letztlich sind es die Fragen nach der eigenen Selbstsicherheit, ob wir gelassen bleiben können und die der Reziprozität. Erst wenn wir unser Verhalten auch von unserem Gegenüber erwarten können, dann können wir mit ihm auch kooperieren.

Freude zum Schluss

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