Dieser Beitrag ist in wichtigen Teilen veraltet. Die USA - so wie sie hier beschrieben werden - gibt es nicht mehr.
Mit dem wirtschaftlichen Aufstieg der Länder Asiens verlagert sich auch immer mehr politische Macht in diesen Raum und wir in der sogenannten "westlichen Welt" machen uns Sorgen um unsere Zukunft.
Die westliche Welt, darunter verstehe ich im Kern Nordamerika, Westeuropa und Australien, manche zählen aber auch Japan und andere Länder dazu. Es ist also einfacher, von westlichen Werten zu sprechen, als von einer geographischen Definition. Grob betrachtet versteht man unter "Westlichen Werten" Freiheit, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit, Marktwirtschaft, Kapitalismus, Individualismus und Demokratie.
Es ist schon einige Zeit her, da waren westliche Werte gleichbedeutend mit (West-) Christentum. Aber dies hat sich geändert. Erstens durch die ständige Zunahme von Atheismus, auch in den sogenannten christlichen Ländern und zweitens durch eine - zumindest in einigen Ländern, z.B. Frankreich, Portugal, Tschechien - immer stärkere ausgeprägte Trennung von Kirche und Staat, die Religion eher eine Privat- als eine Staatsangelegenheit werden lässt (Laizismus).
Bevor und während ich - für einige Jahre - in die USA ausgewandert bin (1983 - 1985), habe ich mich oft gefragt, was denn die USA so mächtig und erfolgreich gemacht hat und wo wir in Europa besser sind. Wie zu erwarten ist, kann es dazu kaum Antworten geben, die alle zufrieden stellen werden und so gebe ich hier meine persönliche Sicht zum besten.
Die USA sind ein Einwanderungsland. Menschen, die entweder aus Europa wegen religiösen, wirtschaftlichen oder anderen Gründen gekommen sind, oder später aus Afrika als Sklaven und noch später aus Lateinamerika oder den Pazifikstaaten als Wirtschaftsflüchtlinge, haben ein - in ihren Augen - fast leeres Land vorgefunden, das sie nach eigenen Vorstellungen neu gestalten konnten.
Dabei waren sie gezwungen zu kooperieren, andere Meinungen auch gelten zu lassen, sich zu organisieren, pragmatisch zu werden, zu vereinfachen, damit jeder es versteht. Randbedingungen waren eher durch die Natur und ihre Herausforderungen gegeben, als durch eine gemeinsame Geschichte. Schon nach kurzer Zeit im neuen Land hat Feudalismus deshalb keine Rolle mehr gespielt und es hat sich die Demokratie (amerikanischer Prägung) als eine arbeitsfähige Basis für ein Zusammenleben herausgestellt.
Es wundert daher nicht, dass vor allem die USA stets versucht haben, ihre Aggressionen gegen andere Länder mit dem segensreichen Verbreiten der Demokratie zu untermauern, ähnlich wie es zur Kolonialzeit die europäischen Staaten mit dem Christentum gemacht haben, die damit Seelen retten wollten.
Um es gleich vorweg zunehmen, das westliche Exportgut Demokratie überzeugt mich nicht, auch wenn ich es im Globismus vorschlage. Eine ähnlich kritische Haltung habe ich übrigens auch zu dem Begriff "Menschenrechte". Beide sind für mich in meinem Umfeld zwar Grundpfeiler meines Denkens und Handelns, aber ich weiß auch, dass sie nur Sinn machen, wenn sie von vielen anderen Vor- und Nebenbedingungen begleitet werden. Die kritischste davon ist die Bildung. Demokratien in Ländern einzuführen, wo die Hälfte der Bevölkerung Analphabeten sind, macht wenig Sinn.
Aber vieles andere könnte besser als Exportgut dienen. Das Wichtigste ist ein großer Wirtschaftsraum mit einheitlicher Währung, allgemein akzeptierten Regeln, einem hindernisfreien Handel und einer gemeinsamen Verkehrssprache. Wie man an der Europäischen Union und ihren Schwierigkeiten sieht, ist dies gar nicht so einfach zu kopieren. Aber dazu mehr später. Ebenfalls ziemlich einzigartig in den USA ist die schnelle Wandlungsfähigkeit mit einer pluralistischen Gesellschaft, die (relativ zu vielen anderen Ländern) schnell Veränderungen akzeptiert.
Die USA haben sehr früh erkannt, dass es viel Sinn macht, Anstrengungen für bestimmte Zeiten und Ziele zu bündeln und dann auf diesem Sektor zu den Weltbesten zu gehören, dass man aber auch Felder wieder aufgeben muss, um Kräfte für neue Herausforderungen zu haben. Das für mich persönlich beste Beispiel dazu ist der Brückenbau. Obwohl man auf diesem Sektor früher in den USA außergewöhnliches geleistet hat, hat man heute dafür kaum mehr Kompetenzen und man überlässt diesen Sektor anderen.
Aber aus der Sicht der 80er Jahre gab es vier Felder, die ich zu den Kernbereichen zählen würde, die kontinuierlich entwickelt wurden und mit einem großen Aufwand an Forschung weiter bestehen. Es sind die Waffentechnik (dazu zähle ich auch Luft- und Raumfahrt, sowie Computertechnik), Nahrungsmittelproduktion, Medizin und Medien.
Die Medizin mag dabei vielleicht als der schwächste Kandidat erscheinen, in einem Land das erst im dritten Jahrtausend begonnen hat, eine allumfassende Krankenversicherung einzuführen (und dabei auch fast gescheitert ist) und in dem die heute heranwachsende Generation nicht mehr so gesund und alt sein wird, wie ihre Eltern. Aber ich zähle dazu nicht nur die Pharmaindustrie, sondern auch Hygiene und Wasserversorgung, die in großen Teilen des Landes wirklich vorbildlich ist. Und im Kampf gegen Krankheiten hat sich Geld als wichtigstes Heilmittel erwiesen. Und in den USA setzt man seinen Reichtum eben dafür ein und schafft so eine Spitzenmedizin.
Ebenfalls als kritisch angesehen wird die Nahrungsmittelproduktion. Aber man kann daran noch soviel herummäkeln, wer bei Hungersnöten und Krisen in großem Stil weltweit Nahrungsmittel exportieren kann, sichert sich seinen Machtanspruch.
Die Medien in den USA haben wahrscheinlich ihren Zenit überschritten. Sie sind stark geworden durch einen großen Einsatz von Kapital, stets neuer Technik, großer Freiheit und Kreativität, die die Besten der Welt auf diesem Sektor angelockt und gehalten haben und einem sehr vielfältigen, aber doch im Prinzip einheitlichem heimischen Testmarkt, der auch riskante Produktionen und Formate erlaubt hat.
Die Medien haben viel zum positiven Image der USA beigetragen, auch wenn es primär Illusionen waren, die im Ausland attraktiv erschienen. Inzwischen haben die Menschen mehr Möglichkeiten zu reisen und das entzaubert. Die Konkurrenz ist gewaltig geworden, man kann jetzt überall auf lokale Besonderheiten eingehen und die Herstellungskosten, sind so dramatisch gesunken, dass heute fast jeder Medienschaffende auf eigene Faust kleine Welterfolge produzieren kann. Aber man sollte nicht vergessen, dass die dabei verwendete Technik und Infrastruktur definitiv ohne die USA nicht möglich geworden wären. Und die USA sind sicherlich das Land, wo man den Begriff Entertainment nicht nur verwendet, sondern auch mit Überzeugung füllt.
Und das bringt mich zum letzten großen Bereich, der lange Zeit US Domäne war. Ich nenne es die Waffentechnik, also alles was zum Angriff oder zur Verteidigung des Landes dient. Es war seit dem Eintritt der USA in den zweiten Weltkrieg ungeschriebenes Gesetz, dass das Land jeden Krieg, wo immer er auch ist, gewinnen können muss. Erst unter großem wirtschaftliche Druck wurde man 2012 dazu gezwungen, nicht mehr gleichzeitig 2 Kriege führen zu können.
Die Realität sah etwas nüchterner aus. Nach dem glorreichen Siegen im zweiten Weltkrieg kam ein kleiner Dämpfer im Koreakrieg (der nur mit einem Waffenstillstand endete), danach ein großer in Vietnam. Aber jeder Präsident war versucht, zumindest einmal eine kleine Schlacht oder Invasion zu gewinnen, wie z.B. Reagan in Grenada (1983). Kaum jemand erinnert sich noch daran.
Die zermürbenden Einsätze in Irak und Afghanistan haben das Land gelehrt, dass es selbst mit massiver Unterstützung der Verbündeten nicht mehr in der Lage ist, überall Weltpolizist zu spielen. Auseinandersetzungen sind heute weniger mit Toten und Verletzten zu gewinnen, als mit Überzeugung, Vertrauen und nicht zuletzt mit Wirtschaftsmacht. Feinde und Freunde sind nicht mehr klar zu unterscheiden. Alles ist von vornherein vernetzt und extrem kompliziert, vieles hat globale Ursachen und Folgen und überfordert das simple Denken der Militärs.
Die den Krieg begleitende Entwicklung der Luft- und Raumfahrt hat weltweite Konkurrenz bekommen. Europa baut heute (2011, mit dem Airbus A 380) moderne und größere Verkehrsflugzeuge als die USA und ohne internationale Zusammenarbeit könnte die gemeinsame Weltraumstation nicht mehr unterhalten werden.
Auch die Computertechnik, ebenfalls ein Ableger der Waffentechnik, ist nicht mehr unter ausschließlicher amerikanischer Dominanz. Wer hätte vorausgesagt, dass die Nachkommen des IBM PC drei Jahrzehnte nach dessen Geburt einmal von Lenovo in China entwickelt und gefertigt werden.
Aber trotz all dieser Schwächeerscheinungen von militärischer Macht, die Schlagkraft der USA bleibt enorm und seit dem Tod Bin Ladens 2011 weiß jeder, der die USA massiv angreifen will, dass es für ihn danach keinen sicheren Platz auf der Welt mehr gibt.
Die USA verstehen sich gerne als die "Neue Welt", im Gegensatz zu Europa, das für sie die "Alte Welt" ist. Als es um Verbündete im Irakkrieg ging und nicht alle Europäer mitzogen, hat man dann Europa geteilt, in das Neue Europa (auf der Seite der USA) und in das Alte Europa, das dem Unternehmen (in meinen Augen zurecht, denn die Massenvernichtungswaffen wurden nie entdeckt) skeptisch gegenüber standen.
Ich will hier eine kleine Zwischenbilanz ziehen, welche westlichen Werte aus den USA ich für so wichtig halte, dass man sie als Exportgut anpreisen könnte.
Für viele ist die westliche Welt vor allem durch den Kapitalismus geprägt. Ich habe viele Versuche unternommen, ihn praxisnah zu definieren und habe es dann doch aufgegeben. Es gibt zuviele Ausprägungen davon und es entstehen stets neue Varianten. Das vielleicht einzige Bindeglied ist das Privateigentum.
Korrektur: In einem späteren Anlauf habe ich dazugelernt!
Früher hat man den Kapitalismus vor allem als Gegenpol zum Kommunismus verstanden, aber da letzterer in Reinform fast verschwunden ist, taugt dies nicht mehr. Auch die Abgrenzung Marktwirtschaft vs. Planwirtschaft ist löchrig geworden, da Märkte reguliert werden und Planung auch sonst unentbehrlich ist. Selbst die Identifizierung Banken als Kathedralen des Kapitalismus stimmt nicht mehr, seit Banken verschiedenste Gestalten angenommen haben.
Mit dem Ende der Kolonialreiche ist auch der Ausbeutergedanke des Kapitals nicht mehr so klar. Dort wo Korruption noch gut funktioniert, mag dies klappen. Leider sind dies immer noch zu viele Länder, aber mit abnehmender Tendenz. Und zwar hat nicht etwa eine freie Presse dafür gesorgt, sondern andere Medien, die für jedermann zugänglich wurden, wie das Handy oder das Internet.
Trotz aller Kritik ist der Kapitalismus ein wichtiges Beispiel für westliche Werte geblieben. Vor allem seine Einführung in China, mit einem explosivartigen wirtschaftlichen Erfolg, hat ihn gestärkt. Für die chinesische Regierung ist Kapitalismus ein Synonym für Wohlstand, für das Volk selbst eher die Hoffnung auf mehr Freiheit.
Freiheit und Wohlstand sind so auch die Aushängeschilder von Kapitalismus gemäßigter Prägung, wie zum Beispiel die deutsche Soziale Marktwirtschaft, geworden. Für mich ist es daher interessant, dass gerade in den Länder, die wirklich in Freiheit und Wohlstand leben, die Kapitalismuskritik (Occupy, 99 Prozent) am stärksten wächst. Hier schüttet man das Kind mit dem Bade aus. Es wäre effektiver, Auswüchse zu bekämpfen und zu regulieren, als das Fundament zu zerstören. Aber dies nur als Randbemerkung.
Hier will ich nur die Werte herausheben, die mir wichtig erscheinen. Ich beginne mit dem Recht auf Privateigentum. Es scheint mir der Kern dafür zu sein, das sich Menschen anstrengen etwas zu schaffen, auch wenn viele Aspekte davon erneuert werden müssen.
Weiterhin für empfehlenswert halte ich den Wettbewerb. Er mag manchmal lästig, ja sogar störend sein, aber er sorgt für Qualität und Neuerungen.
Ein Kernelement des Kapitalismus ist das Investieren mit Risiko, das dann auch belohnt wird. Ich will nicht gleich das hässliche Wort Spekulieren dafür sagen, aber genau das ist es. Spekulieren ist nur deshalb zum Unwort geworden, weil man Spekulanten auf Kosten der Allgemeinheit schützt, wenn sie sich irren und weil man auch Objekte für die Spekulation zulässt, die man dafür nicht gestatten sollte.
Ein weiteres wesentliches Element des Kapitalismus, das ebenfalls zwei Seiten hat, ist der rasche Wandel für die Arbeitswelt, negativ mit "hire and fire" beschrieben, also etwas neutraler mit "Einstellen und Entlassen". Es sorgt dafür, dass Firmen wettbwerbsfähig bleiben, also auch in Zukunft Chancen haben. Gerade in Deutschland versteht man das nicht so recht und man ist deshalb bisher auch schlecht darauf vorbereitet gewesen, als der Wandel notendig wurde. Aber unter dem Strich ist Flexibilität in der Arbeitswelt ein positiver Wert, der begleitend mit Absicherung für Ausfallzeiten und lebenslanger Weiterbildung auch menschlich gestaltet werden kann.
Als nächsten wichtigen Punkt will ich nochmals die Arbeitsethik hervorheben, die der Kapitalismus geprägt hat. Sie wird nicht nur durch die Chance auf den eigenen Nutzen gefördert, sondern auch die starke Vernetzung von Angebot und Nachfrage. Menschen fühlen sich mehr verantwortlich, dass durch ihren Beitrag das ganze funktioniert, von dem auch sie abhängig sind. Eigentlich wäre dies eher ein Element des Kommunismus, aber nur durch Planung, gepaart mit erzwungenem Altruismus, hat dies dort nicht funktioniert. Also durchaus Egoismus, aber mit Verantwortung gepaart, das lässt uns in Wohlstand leben.
Als letzten positiven Wert des Kapitalismus ist das große Warenangebot erwähnen. Er ist für Menschen, die es nicht kennen, das augenscheinlichste Zeichen, dass es sich lohnt, für Kapitalismus einzutreten. Es gibt auch hier Negatives, wie Verschwendung oder dass sich viele das Angebot gar nicht leisten können. Aber unter dem Strich ist es ein erstrebenswerter Wert!
Nun wieder eine kleine Zusammenfassung, warum Kapitalismus zu den positiven westlichen Werten gehört:
Europa hat viele schwierige Phasen hinter sich, die es nachhaltig geprägt haben. Nicht alles, was in Europa entstanden ist, hat sich hier auch durchgesetzt. Manches musste erst in die Welt exportiert werden, damit es sich entwickeln konnte und ist dann als Neuerung wieder zurückgekommen.
Den Laizismus als europäische Entwicklung habe ich schon erwähnt. Am wichtigsten aber ist die Herausbildung von Wissenschaften, besonders der Naturwissenschaften, die unabhängig von Religionen und Ideologien Erkenntnisse bringen, die überprüfbar sind und auch zuverlässig dem Praxistest standhalten. Sie beginnt früh im 16. Jahrhundert, im englischen hat sich dafür der sehr treffende Begriff Scientific revolution eingeprägt. Es war im Ergebnis tatsächlich eine Revolution, der verwandte deutsche Begriff Aufklärung beschreibt sie nur unzureichend und ist eher bezogen auf die damit einhergehenden änderungen der Staatsformen. Mit den auf den Naturwissenschaften basierenden Erfindungen wurde dann auch die Industrielle Revolution eingeläutet.
Die Wissenschaft wird z.B. für die drei grossen Kränkungen der Menschheit verantwortlich gemacht: heliozentrisches Weltbild (die Erde ist nicht Mittelpunkt der Welt), Evolution (der Mensch ist mit den Tieren verwandt) und Unbewusstsein. Ich würde dazu auch noch eine vierte dazufügen, den Atheismus.
Es wundert daher nicht, dass trotz dominierender Anwendung die Wissenschaft bis heute auch Feinde hat und sie wegen ihrer Distanz oder sogar Widerspruch zu existierenden Kulturen als Wert nicht überall zu exportieren ist. Dennoch halte ich sie für extrem wichtig.
Von den vielen Folgeerscheinungen der wissenschaftlichen Revolution will ich zwei hervorheben, die nicht so naheliegend sind: Ehrlichkeit und Bildung. Ehrlichkeit, das zu sagen, was den Fakten entspricht, ist uns Menschen nicht in die Wiege gelegt. Es ist ein Produkt der Erziehung. Viel natürlicher wären Schmeichelei, Täuschung, Lüge, das zu sagen, was das Gegenüber gerne hören würde, ohne Rücksicht auf die Folgen. Aber wenn wir auf komplexe langfristige Beziehungen, wie sie z.B. durch die seit der industriellen Revolution notwendigen Arbeitsteilung, angewiesen sind, würden diese ohne Ehrlichkeit nicht zuverlässig genug funktionieren. Ehrlichkeit führt zu Verlässlichkeit und zu Vertragstreue. Besonders Deutschland wird für diese Tugend gerühmt.
Ebenso ist Bildung nicht selbstverständlich. Sie ist das Ergebnis eines langen Prozesses, der uns gelehrt hat, dass es sich lohnt, lange in die Formung eines Menschen zu investieren, damit er besser lebt und produktiver für die Gesellschaft sein kann. In einer sich ständigen Welt ist auch sie einem steten Wandel unterworfen.
Zu den größten Errungenschaften des Abendlandes werden die Menschenrechte gezählt. Obwohl fast alle Staaten der Welt sich zu ihnen bekennen, sind sie eher eine Absichtserklärung, als eine Tatsache. Ihr Problem liegt in vielen kulturellen, aber auch praktischen Einstellungen der Menschen. Es bedarf auch hier, wie bei der Demokratie, schon eines großen Niveaus an Bildung und Wohlstand, will man sie generell implementieren. Man wäre deshalb - meiner bescheidenen Meinung nach - besser beraten, ihr Prinzip der Unteilbarkeit abzuschwächen und lieber Detailrechte zu propagieren. Dies würde für die Verbreitung hilfreich sein, wird aber von wichtigeren Leuten als mir abgelehnt.
Von den vielen Regierungsformen, die Europa erleben musste, würde ich eine als Exportschlager sehen, weil sie eine Brücke zwischen dem immer noch häufigem Feudalismus, z.B. in der arabischen Welt und den modernen Demokratien darstellen könnte: die Parlamentarische Monarchie, mit dem Musterbeispiel Großbritannien.
Europa ist die Wiege der meisten Sportarten, die heute weltweit Bedeutung haben. Es hat einen großen Reichtum an Kulturgütern hervorgebracht, die weltweit beachtet werden. Kein Wunder, dass sie gerne kopiert werden.
Zum Schluss dieses Abschnitts will ich noch Aspekte herausstreichen, die sicherlich typisch für westliche Werte sind: Soziale Gerechtigkeit, Sozialpolitik und Nachhaltigkeit. Ich gehöre zwar auch zu den Menschen, für die soziale Gerechtigkeit im allgemeinen eher ein inhaltsloses Schlagwort bedeutet, aber es hat eine Komponente, die als Chancengerechtigkeit bezeichnet wird, die wichtig genug ist, um sie zu fördern.
Typisch für Europa ist die Sozialpolitik. Sie ist bei uns vor allem eine Folge der verheerenden Verhältnisse zu Beginn der Industriellen Revolution. Aber auch Kulturen, die diese Phase nicht hatten, haben ähnliche Vorgehensweisen entwickelt, um Menschen, die in Not geraten sind, zu unterstützen.
Für die Nachhaltigkeit gilt ähnliches wie für andere Ziele, die ich schon erwähnt habe. So lobenswert es ist, sie zu haben, so schwierig wird es für viele Gesellschaften sein, sie anzustreben, einfach, weil auch sie ein hohes Niveau an Bildung und Wohlstand als Basis braucht.
Als Beispiel für einen großen, gemeinsame Markt ist Europa nicht unbedingt ein Musterbeispiel. Leider wurden einige schwerwiegende Fehler sowohl bei der Expansion, als auch bei der Euro-Einführung gemacht. Man hätte vor einer Expansion zuerst eine akzeptierte Verfassung finden müssen. Dazu hätte man eine Vision entwickeln müssen, welches Europa man letztendlich haben will. Da es keine Übereinstimmung dazu gab, hat man lieber die Flucht in die Expansion gesucht.
Die Euroeinführung ist zwar im Prinzip geglückt, man hat aber die verheerenden Folgen nicht beachtet, die eine harte Währung für notorische Schuldenstaaten bedeutet. Man macht sie damit kaputt, weil ihnen das frühere Gegenmittel der Abwertung genommen wurde.
Ich bin trotz aller berechtigter Kritik ein Europa-Fan geblieben. Für mich ist der damit erreichte Frieden zwischen jahrhundertelangen Erzfeinden ein so positives Ergebnis, dass ich über die Probleme gerne hinwegsehe.
Zu den westlichen Werten, die ganz spezifisch mit Europa assoziiert werden, würde ich zählen
Es erhebt sich jetzt natürlich die Frage, welche neuen Werte unsere westlichen Werte ablösen werden. Eines ist klar: Es gibt ernst zu nehmende Konkurrenz zu unseren Vorstellungen, vor allem durch China. Genügen eingeschränkte Markwirtschaft und Kapitalismus, gepaart mit unendlichen Fleiß, Ausdauer und Bildung, um auf andere Werte wie Freiheit oder Rechtstaatlichkeit verzichten zu können? Können kulturelle Bande wichtiger werden als Individualismus? Um diese Fragen besser beantworten zu können, müsste ich China besser kennen. Aber ich war noch nie dort und kenne auch die Kultur kaum.
Ein anderer Ansatz wäre, die Schwachstellen in unserer westlichen Welt zu korrigieren. Dazu habe ich - als alter Mann - eine sehr zögerliche Haltung. Reiche Gesellschaften meiden jedes Risiko und damit auch jede Veränderung. Sie leben in der steten Angst, etwas zu verlieren, im Gegensatz zu den aufstrebenden Ländern, für die es stetig besser wird und die damit auch viel zufriedender sind als wir. Ich halte es daher für sehr unwahrscheinlich, dass bei uns rechtzeitig genügend Bereitschaft für Veränderungen bestehen wird.
Von der intellektuellen Potenz her sehe ich keine Probleme. Es gibt genügend kluge Leute, die Lösungen finden könnten. Aber es gibt kaum noch Medien, die ihre komplexen und wenig intuitiven Inhalte vermitteln könnten.
Wahrscheinlich wird es auch für die westliche Welt in ferner Zukunft einmal heißen, was schon im kleinen für viele Firmen gegolten hat: Ihr Erfolg in der Vergangenheit war die Grundlage für ihren Untergang!