Wenn ich morgens in die Stadt gehe, komme ich an einer riesigen Buche vorbei, unter der oft Kinder an den Wurzeln spielen. Sie wecken in mir eine sehr frühe Erinnerung, als ich mit 5 Jahren nördlich von Linz (in einem Kinderheim in Kirchschlag) im Wald ebenfalls gerne mit Wurzeln gespielt habe. In ihrer Struktur eigenen sie sich gut zum Höhlen bauen. Bei großen Wurzeln genügte es einen Ast über zwei nebeneinanderliegende zu legen und ihn mit Moos zu bedecken. Kleine obenliegende Wurzeln kann man untergraben und auch so spielerisch gestalten. Über die Bedeutung von Wurzeln habe ich mir damals noch keine Gedanken gemacht, sie waren einfach schön und haben unsere Fantasie angeregt.
Während meines Studiums an der TU in Wien gab es die Möglichkeit eine Ausbildung zum Sprengmeister zu machen. Ich habe dies mit einem Freund genutzt, um mit Sprengarbeiten etwas dazu zu verdienen und tatsächlich haben wir auch einen lukrativen Auftrag bekommen, im Wienerwald mit Sprengungen Baumstümpfe aus dem Boden zu entfernen.
Nun war es wichtig, den Unterschied zwischen Flachwurzlern (z.B. Fichten) und Pfahlwurzlern (z.B. Tannen) zu kennen, denn dem entsprechend waren die Sprengladungen zu verteilen. Bei den Fichten musste man viele kleine Ladungen an den entsprechenden Wurzeln anbringen und etwas verzögert eine unter dem Stamm, die ihn dann angehoben hat. Bei den Tannen musste es eine kräftige, zentrale im Pfahl sein, die ihn getrennt hat. Sprengen war übrigens eine Technologie, die mich bis heute begeistert, weil sie zu einem hohen Prozentsatz aus Denkarbeit besteht und insgesamt sehr kostengünstig ist.
Sehr früh habe ich mich für Ökologie interessiert und dabei gelernt, wie komplex die Vorgänge im Waldboden ablaufen. Besonders die Wechselwirkung Pilze und Bäume sind faszinierend. Die Mykorrhiza, und allgemein die Symbiose von Bäumen und Pilzen ist ein wirklich lehrreiches Terrain. Ich bin oft mit meinem Vater auf Pilzsuche gegangen und er hat mir früh beigebracht, dass man manche Pilze nur in der Umgebungen spezieller Bäume findet. Besonders die Steinpilze waren uns wichtig. Sie wachsen sowohl in Nadelwäldern, wie in Laubwäldern, dort am besten unter den Esskastanien. Im Internet kann man mehr zu diesem Thema finden.
Wurzeln geben den Pflanzen Halt und sie dienen der Aufnahme von Wasser und Nährstoffen. Wer älter wird, kommt nun auf die naheliegende Frage, was gibt denn uns Menschen Halt? Wo sind denn unsere Wurzeln?
In einer Gesellschaft, die wenig mobil war, war es die Heimat, die uns verwurzelt hat. Aber was passiert in einer mobilen Gesellschaft, vor allem auch in einer, wo Arbeitsstätten und Arbeitgeber so rasch wechseln, dass wir uns oft als Nomaden und Söldner fühlen müssen? Werden wir nicht alle zu Flachwurzlern oder gar wurzellos?
Wenn ich mich selbst Frage, was und wo meine Wurzeln sind, dann ist die Antwort sehr vielschichtig. Die naheliegende Vermutung, dass es die eigene Familie ist, stimmt sicher auch bei mir, aber mit zunehmendem Alter ändert sich ihre Rolle. Zwei meiner drei Kinder und die Enkelkinder wohnen zu weit weg, um von großer Bedeutung zu sein. Die Generation meiner Eltern ist schon lange tot und ihr Einfluß ist sicher ein Leben lang prägend gewesen, aber verblasst dann doch irgendwann. Wahre Bedeutung in der Familie hat nur, wer auch räumlich nahe ist und Zeit hat.
Auch der Wohnort ist von großer Bedeutung, aber ich habe an so vielen Plätzen gelebt und gearbeitet, dass ich mich eigentlich nirgendwo so richtig und kompromisslos zu Hause fühle.
Meine Wohnung ist ein guter Ruhepol, aber ich kann mir durchaus vorstellen, auch woanders gut und zufrieden zu leben. Und ich fühle mich im Urlaub auch schnell in fremden Räumen wohl.
Religion spielt eine immer geringere Rolle bei mir. Bei manchen alten Menschen wird sie ja zum zentralen Thema. Bei mir reduziert sie sich nur noch auf Musik und Machtfragen.
Zunehmend aber zur Stütze meines Lebens wird Kultur in allen Formen. Ich bin sehr dankbar, dass ich vieles als "Hänschen" gelernt habe, was mir jetzt als "Hans" schwer fallen würde, es nachzuholen: Sprachen, Musikinstrumente, Sport, und andere Fertigkeiten, die mir eine große Basis zur Entfaltung bieten. Mein Fachwissen verliert mit dem schnellen Wandel zusehends an Bedeutung, mein Kulturwissen aber bringt mir täglich neuen Gewinn.
Wie bei der Mykorrhiza brauche aber auch ich ein Netzwerk, das mich trägt. Es sind viele Kontakte mit Freunden, Nachbarn und Bekannten, ein bewährtes System aus Beratern, vor allem Ärzten, Dienstleister wie Läden und Restaurants und das Vertrauen auf jene Organisationen, die mich buchstäblich ernähren und mir Sicherheit geben, wie Versicherungen und Banken.
Die Wurzeln, mit denen ich mit ihnen in Kontakt bleibe, verlagern sich immer mehr aufs Internet, ergänzt mit vielen persönlichen Gesprächen. Und die Schnittstelle ist der Computer, der nicht nur für mich eine zentrale Bedeutung bekommen hat. Bei meinen jüngeren Kontakten ist die Schnittstelle inzwischen das Smartphone. Es ersetzt alle anderen Gadgets und wird zum wichtigsten Wegbereiter.
Ich habe ja die Entwicklung der Computer vom Anfang an verfolgt und an einigen Stellen auch zu ihrer Entwicklung beigetragen. Ich kann nur sagen, es war für mich nicht vorhersehbar, wie diese Entwicklung ablaufen würde. Und dies sollte vielleicht auch eine Lehre für jene sein, die glauben die Zukunft langfristig planen zu können oder den Klugscheißern den Wind aus den Segeln nehmen, die im Nachhinein jede Entwicklung erklären können und Schuldzuweisung für jene aussprechen, die es nicht rechtzeitig so gesehen haben.