OTTO BUCHEGGER ERZÄHLT

Alte Menschen bekommen im Laufe ihres Lebens Berührungen mit jeder Art von Sucht. Manches bleibt davon im Gedächtnis, anderes wird nicht mehr beachtet. Ich mache hier einen kleinen Rückblick vor allem auf Beobachtungen bei anderen, aber auch auf eigene Erfahrungen.

Für mich ist Sucht primär die „Suche nach einem bestimmten Erlebnis“. Sie kann normal sein (wenn ich Hunger habe, suche ich was zu Essen) oder zwanghaft (obwohl ich keinen Hunger mehr habe, will ich trotzdem weiter essen). Ich weiche hier etwas von der medizinischen Definition ab.

Wie eine Sucht zu bewerten ist, hängt von ihren langfristigen Folgen ab. Bei komplexen Entscheidungen zählt weniger die Absicht, als die Wirkung. Unbestreitbar ist, dass jede Wiederholung ihre Wirkung verstärkt, egal ob sie schädlich oder nützlich ist. Aber auch wenn sich die Umgebung ändert, kann ihre negative Wirkung in eine positive umschlagen und umgekehrt. Im Alltag allerdings, wird eine Sucht meist als negativ eingestuft. Unter anderem deshalb, weil sie schnell zu einem Gefängnis werden kann.

Eine eigene Vermutung, für die ich aber bisher keine breite Unterstützung gefunden habe, ist das Vorhandenseins eines Suchtgens. Wer es hat, wird leichter anfällig für Suchtverhalten.

Die Sehnsucht ist die kleinere Schwester der Sucht. Auch ihre Ziele werden angestrebt, aber nicht so brutal verfolgt wie bei der Sucht.

Eine Sucht selbst zu diagnostizieren ist in jedem Alter schwierig, genauso wie davon loszukommen. Ohne fremde Hilfe (von außen) wird es kaum gelingen. Und wer helfen will, muss sich auf großen Widerstand gegen jede Veränderung einstellen.

Abstinenz kann ein Test für Suchtverhalten werden. Komme ich auch „ohne“ aus? Ohne Handy, ohne TV, ohne Sex, ohne bestimmte Nahrungsmittel, wie Zucker oder Fleisch? Die Gegenfrage ist: Was verliere ich dann dauerhaft damit? Eine gesunde Balance ist in meinen Augen besser als die totale Abstinenz.

Mit Sucht kann man viel Geld verdienen. Sowohl bei legalen Abhängigkeiten, wie auch bei illegalen. Der Unterschied ist, dass es Kriminelle sind, die zum Beispiel bei den illegalen Drogen das Geld einkassieren. Es ist daher durchaus sinnvoll, möglichst wenig zu verbieten, weil man sonst auch die Kriminalität fördert.

Mit Sucht kann man auch ganze Nationen abhängig machen oder ruinieren. Wir brauchen dazu gar nicht in die Vergangenheit schauen, die immer noch aktuelle  Opioidkrise in den USA ist abschreckend genug.

Nikotin- und Alkoholsucht sehr alter Menschen sollte man ihnen aber einfach zugestehen. Sie sterben damit glücklicher.


Sucht in der deutschen Gesellschaft

Wenn in einem Land immer die gleichen Fehler gemacht werden, kann man dies durchaus mit Sucht vergleichen. Die Menschen suchen diese Lösungen und und sich erst zufrieden, wenn es nach ihren Erwartungen läuft. Die schlechten Ergebnisse werden verdrängt und eine Änderung des Verhaltens scheint fast unmöglich zu sein. Wie beim Alkoholsüchtigen, für den „erst Morgen ein neues Leben anfängt“.

Rasen auf der Autobahn

Das Auto wurde in Deutschland erfunden und Deutschland ist traditionell ein Autoland. Dass wir aber immer noch nicht uns den europäischen Standards angepasst haben, liegt aber vor allem an unseren Politikern. Sie haben die schnellsten Dienstfahrzeuge und besten Chauffeure und rasen damit von Termin zu Termin. Kein Wunder, dass sie sich am meisten sträuben, diesen Sonderstatus aufzugeben.

Mangel an Verantwortung

Alle die ständig Freiheit fordern, verdrängen ihre Verantwortung dabei. Besonders in den Medien vermisse ich sie, aber auch bei Parteien, die immer mehr Macht für Menschen fordern, die keine Verantwortung übernehmen müssen. Jugendwahlrecht oder Bürgerräte sind aktuelle Beispiele.

Anspruch auf Vorbild

Vorbild sein zu wollen, kann auch zur Sucht werden. „Am deutschen Wesen mag die Welt genesen“ von 1861 scheint immer noch aktuell zu sein. Gelegentlich wird diese Sucht zur Krankheit. Wenn man dann genauer hinschaut, stellt man oft fest, dass die Schlagzeilen dazu nur Luftblasen waren, die in der Realität unbemerkt zerplatzt sind. Und natürlich hat ein Vorbild immer den Drang, Lehrer zu sein. In Deutschland kann dies bis zur Diktatur führen. Ein echtes, überzeugendes Vorbild wird aber einfach nachgemacht.

Gleichheitswahn

Er scheint mir typisch Deutsch zu sein. Nur wenn alle gleich behandelt werden, scheint die Welt in Ordnung zu sein. Dass man verschiedenes auch verschieden behandeln muss, wenn es gerecht zugehen soll, wird verdrängt. Die „Deutsche Gerechtigkeit“ heißt „Gleichheit“.

Neid

Wer Erfolg hat, ist in Deutschland schon aus diesem Grund verdächtig. Dass große Anstrengungen, viele Erfahrungen und deren Misserfolge oder vielleicht auch eine lange Ausbildung auch dazu gehören, wird gerne vergessen. Besonders wenn der Erfolg vererbt wurde, ist der Neid besonders groß. Für mich ist das abstoßend. Auch ein Erbe gut zu verwalten, ist eine schwierige Aufgabe.

Rauschmittel (Alkohol, Nikotin)

Generell ein Problem, wie ich den Polizeinachrichten entnehme. Mir selbst fehlte offenbar das Suchtgen dafür. Galt auch für die Massendrogen Alkohol und Nikotin. Vielleicht aber hatte ich auch gute Lehrer, die einen vernünftigen Umgang gefördert hatten. Lediglich der Rausch durch Musik hat gehalten, was er versprochen hat. Die Menschen sind eben verschieden.

Lotterien, Glücksspiele

Ich finde es durchaus legal und richtig, dass man Süchte gestattet und dann auch besteuert. Problematisch wird das Ganze, wenn die Süchte Menschen und Familien ruinieren. Aber wie heißt es so schön: auch mit mehr Polizei kann man die Folgen der Dummheit nicht bekämpfen.

Glaubensfanatismus

Ich denke dabei weniger an Glaubenskriege oder kulturelle Auseinandersetzungen im großen Stil. Mein Fokus liegt eher im persönlichem Bereich. Ich habe zu viel Fanatismus bei mir nahestehenden Menschen erlebt, der letzten Endes auch zum Bruch der Beziehungen geführt hat. Dazu zählen auch die vielen Irrungen beim Impfen und in anderen Gesundheitsfragen. Oder die beliebten Pseudowissenschaften, die ich mich aber nicht mehr getraue zu nennen. Ich habe keine Lust, wegen fanatischer Anhänger zum Märtyrer zu werden.

Sucht nach Aufmerksamkeit

Hauptsache Schlagzeile, irgendwo in einer Talkshow auftreten, 100k Follower auf Twitter oder Facebook. Wie und womit ist egal. Mit der Verbreitung der Sozialen Netze ein häufiges Phänomen. Leider aber auch eine Gefahr für die Gesellschaft, für die es bisher offenbar keine Lösungen gibt. Aber vielleicht sucht man auch gar nicht mehr danach?


Was ist das Gegenteil von Sucht?

Naiverweise würde ich Zufriedenheit sagen. Ich bin mit dem Leben zufrieden, so wie es ist, warum soll ich etwas anderes suchen?

Der TED Redner zielt auf eine ähnliche Antwort und nennt es Bindung. Habe ich gute Bindungen zu anderen Menschen, dann brauche ich den chemischen Kick gar nicht, ist vereinfacht seine Aussage.

Entsprechend verschieden sind deshalb auch die Verhütungsregeln von Sucht. Ist es nur der chemische Kick, dann ist das Verbot eine Antwort. Sind es mangelnde Bindungen, dann bringt das Verbot alleine wenig.


Eigene Erfahrungen mit Sucht

Sammeln

Wahrscheinlich meine Sucht mit den größten negativen Auswirkungen. Was habe ich nicht alles gesammelt und viel Geld dafür ausgegeben? Wie heißt es so schön: Sammeln ist eine unheilbare Krankheit, leider nicht tödlich.

Zum Glück hatte ich dann Kinder und viele Freunde, die es mir leichter gemacht haben, die kostbaren Dinge wegzugeben, damit sie diese aufbewahren. Ich habe gelernt, später nicht mehr danach zu fragen und irgendwann ist die Erinnerung daran auch verblasst.

Schlafen

Meine größte Sehnsucht war lange Zeit: so viel schlafen, wie ich wollte. Es hat lange Zeit und viele Krisen gedauert, bis ich dies erreicht habe. Heute als Rentner 77+ genieße ich jeden Tag aufs neue: mit den Hühnern (vor 20h) zu Bett, wenn ich in der Nacht aufwache kurz an den Rechner, weiterschlafen, ohne Wecker aufstehen und auch tagsüber bei Müdigkeit einfach hinlegen und schlafen. Und alles ohne Abhängigkeit von Schlafmitteln.

Spielen

Auf  Spielen habe ich viel von meinen Erlebnissen mit Spielen geschrieben. Sie haben mich tatsächlich lange begleitet, waren aber finanziell nie richtig bedrohlich, außer dass sie mich letztlich isoliert haben, weil ich zu oft gewonnen habe.

Geblieben ist eine große Bereitschaft, kleine Wetten abzuschließen. Da ich aber aus Prinzip nie mehr als um 1€ wette, bleibt der Schaden geringer als der Lerneffekt dabei.

Bildung

Ja, man darf mich ruhig bildungssüchtig nennen. Etwas dazu beigetragen haben meine Heimatstadt Linz (mit einem tollen Angebot an Gratisbibliotheken), sowie später eine Firma, die unzählige Bildungsangebote finanziert hat oder Orte wie Tübingen, mit ebenfalls einem breiten Angebot.

Außer viel Zeit habe ich wenig selbst dazu beitragen müssen. Es war alles mehr Vergnügen, als Aufwand oder gar Anstrengung. Hat sich die Investition in Bildung gelohnt? Manchmal sind mir Zweifel gekommen, denn mit jeder neuen Erkenntnis ist auch die Anzahl der Ungebildeten, die ich zu ertragen hatte, gewachsen.

Reisen

Auch das Reisen war eher Erwachsenenbildung, als Freizeitvergnügen. Meine Spezialität waren Städtereisen in Europa. Wie man auf www.euxus.de nachlesen kann, war ich viel unterwegs.

Sport

Sportliche Betätigung kann nicht nur große Glücksgefühle mit Flow verursachen, sondern fördert auch, dass wir unsere Grenzen nicht mehr erkennen und dann überschreiten. Bei mir war es das Rad fahren, das mir lebenslange Schäden gebracht hat. Ich habe aber vergleichsweise zu anderen Altersgenossen rechtzeitig die Kurve gekriegt.

Botanischer Garten

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