Spielen ist eine der ältesten Kulturtechniken zur Entwicklung unserer Fähigkeiten, übrigens nicht nur bei Menschen, sondern auch bei Tieren. Bis vor kurzem war mir allerdings nicht klar, welche neue Bedeutung sie in der Wissenschaft haben. Als (früher) angewandter Mathematiker waren mir zwar die Spieltheorie vertraut, nicht aber die neueren Diskussionen auf dem Gebiet der Ludologie und schon gar nicht die akademischen Auseinandersetzungen dazu.
Spiele haben mich ein ganzes Leben begleitet und es ist vielleicht interessant, was ich durch sie gelernt habe und wie sie mich begleitet oder gar verändert erhaben.
Ich bin in einer Familie aufgewachsen, in der gerne und viel gespielt wurde. Es waren vor allem Karten- und einfache Brettspiele, an die ich mich erinnere. Sie haben mich eines gelehrt: Ehrenvoll zu verlieren, aber auch bei jedem Verlust darüber nachzudenken, wie ich ihn hätte vermeiden können. Die Folge war, dass ich kontinierlich besser wurde. Letzten Endes aber hat das dazu geführt, dass bald keiner mehr mit mir spielen wollte.
Mit dem Studium haben Spiele eine neue Dimension bekommen. Durch das Programmieren und die Computerunterstützung konnten sie wesentlich besser analysiert werden. So war meine Diplomarbeit auch ein Programm, welches das Kartenspiel "Schnapsen" (eine österreichische Variante des deutschen "Sechsundsechzig") simuliert hat und das mir seinerzeit (1968) große Aufmerksamkeit in den Medien beschert hat.
In der Vorbereitung zu dieser Arbeit habe ich einige Kartenspieler intensiv interviewt, um zu lernen, wie sie denken und handeln. Unter dem Strich aber war das Ergebnis nur, dass sie mir irgendwann, wenn das Vertrauen groß genug war, beigebracht haben, wie man beim Schnapsen erfolgreich betrügt. Es geschieht dies beim Mischen, beim Ausgeben, beim Abheben, wie man sitzt, wie man Zuschauer einbindet. Es kam also nicht nur auf das gute Gedächtnis oder auf die Kenntnis von Taktiken an, sondern die erfolgreichen Spieler des Alltags waren meist auch geschickte Betrüger.
Das Spielen an Automaten oder im Casino mit den sogenannten "Glücksspielen" habe ich zwar auch versucht, aber es war mir zu stupide, keine wirkliche Herausforderung. Aber ich habe dabei einige echte Spieler (oder sollte ich vielleicht besser sagen Zocker oder noch deutlicher Spielsüchtige) kennen gelernt und es war meine Beobachtung, dass Spielsucht nur eine der vielen Formen von Sucht ist, unter denen diese Menschen litten. Ich vermute, es gibt eine Art Sucht-Gen, das manche Menschen so leicht abhängig macht und sie so ihrer Freiheit beraubt.
In den 70er Jahren haben mich die New Games fasziniert, kooperative Spiele ohne Gewinner oder Verlierer. Mit ihnen habe ich viele Menschen unterhalten und Kontakte geknüpft. Sie sind leider nach einiger Zeit wieder aus der Mode gekommen, weil es bei manchen Spielen im übermut auch zu Verletzungen gekommen ist. Einige Spielgeräte aber haben bis heute überlebt und erfreuen sich weiterhin in Gruppen großer Beliebtheit, z.B. das Schwungtuch.
Mit die wichtigsten Lernerfahrungen habe ich beim Theaterspielen erlebt. Wir waren zwar nur eine Laienspielgruppe, aber mit einem erfahrenen Leiter und einigen semiprofessionellen Kolleginnen und Kollegen. Ich habe viele verschiedene Rollen gespielt und als ich keine Zeit für Proben mehr hatte, auch die Technik dazu gemacht. Höhepunkt meiner Karriere war (mit 50 Jahren) die Hauptrolle in einem Musical, in dem ich mich dann auch als Sänger versucht habe.
Spiele in den Medien haben den Schwerpunkt von den Spielern zu den Zuschauern und von der Aktion zum Business verlegt. Ich habe früher selbst Fussball gespielt, kenne also alle Regeln und Schwierigkeiten, aber Fussball im Fernsehen ist für mich zu langweilig. Das ganze ist nur noch ein Artistenzirkus mit hoch bezahlten Akteuren.
Aber es gibt durchaus Sportarten, die im Fernsehen viel spannender als in der Realität sind. Dazu gehören jene, wo das Fernsehen durch besondere Kameraeinstellungen den Zuschauer in die Rolle des Spielenden versetzt, wie z.B. beim Snooker. Ich schätze, dass die Anwendungen von Google Glass auch genau den gleichen Effekt haben werden.
Wo es viele Zuschauern gibt, wird es auch Wetten geben. Dort gewinnt, wer das Ergebnis voraussagen kann. Damit kommt eine neue Qualität ins Spiel und weil es um Geld geht, natürlich auch eine neue Versuchung zum Betrügen. Ich wette trotzdem gerne (um kleine Beträge, wie z.B. einen Kaffee oder einen Euro), weil es die Beobachtung schärft.
Mein Spielverhalten hat sich im Laufe des Lebens immer wieder verändert. Am Beginn standen "Soziale Anerkennung" im Mittelpunkt, später Kontakte, dann Kindererziehung. Ich habe mit meinen Kindern ebenfalls wieder - so wie meine Eltern mit mir - viel gespielt. Natürlich dann mit anderen Spielmitteln, vor allem mit dem Computer. Und so ist es nicht verwunderlich, dass zwei meiner drei Kinder heute als Erwachsene mit IT Berufen ihr Geld verdienen.
So etwa mit 40 Jahren wurden Vorgänge in der Politik und in der Wirtschaft zu meinen Lieblingsbeobachtungen. Dort ging es neben Geld immer auch um Macht und ich habe als geschickter Spieler über viele Jahre alle meine Urlaube über Gewinne an der Börse gut finanzieren können.
Mit Aktien spiele ich nicht mehr, im Alter ist dies zu riskant, aber kleine Wetten auf die Politik mache ich immer noch gerne. Es verändert zwar nichts, aber es macht Spass im Alltag.
Rückblickend haben Spiele verschiedenster Art mein Leben sehr bereichert:
Sie haben mir Selbstvertrauen gegeben.
Ich habe viel Freude daran gehabt.
Ich konnte die Freude mit vielen Menschen teilen.
Sie haben mich gelehrt, gut zu beobachten und das Gedächtnis zu trainieren.
Es war mir nur selten langweilig.
Spiele können Lern- und Erfolgserlebnisse ohne großes Risiko schaffen. Sie vereinen oft große Freiheit mit großer Sicherheit, mit einem Wort, es sind paradiesische Zustände. Ihre potenzielle Gefahr liegt in der Übertreibung, in der Maßlosigkeit, im Rausch, den sie verursachen können und in der Sucht, die sie damit einleiten können und die tatsächlich zerstörerisch sein kann.
Auf meinem Computer sind heute keine Spiele mehr installiert. Brett- und Kartenspiele habe ich an Kinder verschenkt. Sollte die Sehnsucht danach wieder aufkommen, dann spiele ich einfach mit meiner Gitarre. Sie bietet, wie viele andere Musikinstrumente, ein unendliches Betätigungsfeld und immer neue Herausforderungen. Und wer musiziert, ist nie allein.