OTTO BUCHEGGER ERZÄHLT

Da ich direkt an einem Friedhof wohne, gehe ich oft an Kriegsgräbern vorbei und jedes Mal, wenn ich die Grabsteine sehe, freue ich mich, dass ich fast mein ganzes Leben in Frieden leben konnte. Einen nicht geringen Anteil daran hatte der "Europäische Gedanke" und es war mehr als angebracht, dass dafür 2012 der Friedensnobelpreis vergeben wurde.

Stadtfriedhof Tübingen

Trotzdem sind viele Menschen mit der Entwicklung in Europa unzufrieden und ich muss ihnen leider teilweise auch Recht geben. Aber ich würde nicht so weit gehen, zu sagen  "Europa ist tot", aber "Europa ist krank" scheint mir schon zu stimmen. Allerdings denke ich auch, dass "Europa geheilt" werden kann.Und ich versuche hier meinen kleinen Beitrag zu dieser Diskussion zu leisten.


Welches Europa?

Es scheint bis heute nicht klar zu sein, wofür Europa eigentlich steht. Ist es eine Wirtschaftsunion, eine Freihandelszone, eine Währungsunion, ein Militärbündnis, ein Verbund von Vaterländern, eine Werteunion oder was auch immer?

Tatsache ist, dass man diese grundsätzliche Frage ausgeklammert hat, weil man nicht so recht wusste, was die Antwort ist. Motivation war nur das Verhindern neuer Kriege, nach den schlimmen Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges. Das Ergebnis ist, dass Europa eine Bastellösung, technisch würde man sagen "ein Prototyp", geblieben ist. Für jedes neue Problem, jede Krise, hat man daran - zum Teil ausgesprochen stümperhaft - neue Bastellösungen gefunden.

Es gab keine Architektur und keine Architekten bei diesem wilden Bauen, es gab auch keine Vorbilder, die man hätte heranziehen können. Solche Bauwerke kollabieren irgendwann, wie man weiß. Sie sind nicht robust und werden bei kleinsten Erschütterungen zusammenfallen. Es war nicht einmal klar, was die Bausteine oder das Baumaterial sein sollten. Wo sind die großen Gemeinsamkeiten, die das Fundament hätten sein können? Welches Grundstück, wo beginnt, wo endet es?

Bei solchen Fragen ist es meist klug, mit gemeinsamer Kultur zu beginnen und es mit mit gemeinsamen Wirtschaftsformen zu ergänzen. Kultur ist bewährte Erfahrung, die kaum zu verändern ist, also muss dazu Harmonie herrschen. Wirtschaftsformen sind die Basis für Wohlstand, ohne den es auch keinen Bestand gibt. Aber nur auf Kultur zu bauen, ist in Europa problematisch. Die einzelnen Regionen sind zu verschieden und das Verständnis für die Wirtschaft klafft weit auseinander.

Und ähnliches gilt auch für alle anderen Gemeinsamkeiten, die man heranziehen könnte. Ich schlage daher, vor für Europa eine Denkpause einzulegen, das Bewährte zu sichern, aber noch einmal die Grundlagen eines Vereinten Europas zu überdenken und in einem zweiten, oder vielleicht auch dritten Anlauf aus den vielen Fehlern der Vergangenheit zu lernen.


Zehn Leitlinien für ein Neues Europa

A. Nicht einfach so weiter machen, wie bisher

1. Konkret heißt dies, alle Bemühungen für neue Erweiterungen einzufrieren (Moratorium, als Zeitraum für diesen Stillstand würde ich zwei Jahre ansetzen). Es war ein Grundfehler, auf Teufel komm raus Europa zu erweitern, ohne z.B. eine brauchbare Verfassung zu haben. Bestehende Verträge werden eingehalten, aber es werden vorerst keine alten geändert und keine neuen geschlossen.

2. Die Eurozone so anpassen, dass die Mitgliedsländer entweder mit einer harten Währung leben können oder ausscheiden. Es macht keinen Sinn, Länder die nicht wirtschaften können, dauerhaft zu unterstützen.

3. Agrarsubventionen drastisch kürzen und dafür so in Bildung investieren, dass vor allem die Jugendarbeitslosigkeit auf ein erträgliches Maß sinkt. Lieber einige Wochen brutaler Streik der französischen Bauern, als eine Revolution einer chancenlosen Jugend in vielen Ländern der EU.

4. Vorerst keine neuen Richtlinien (Gesetze) aus Brüssel. Die Parlamentssitzungen werden für den Moratoriumszeitraum auf ein absolut notwendiges Maß reduziert.

5. Vorerst keine neuen Europäischen Patente oder andere Schutzrechte.

B. Ein zukunftsfähiges Europa entwickeln

1. Die Stärken Europas sind seine Vielfalt und seine Kreativität. Es ist daher bestens geeignet, ein Kontinent zu werden, wo Ideen schneller entstehen und sich schneller entfalten können. Ideen kamen immer schon aus Europa, aber ihre Umsetzung wurde zu oft den USA oder asiatischen Ländern überlassen. Das kann nur besser werden.

2. Europäische Richtlinien brechen vorübergehend nicht mehr nationales Recht. Es steht den Ländern frei, sie zu übernehmen. So wird sicher gestellt, dass sich nur sinnvolles und bewährtes durchsetzen wird. Neue Richtlinien müssen streng das Subsidiaritäts-Prinzip beachten.

3. Europäische Übereinkünfte (seien sie nun bilateral oder multilateral) sparen den Bürgern (zumindest langfristig) Kosten und Aufwand und verursachen keine.

4. Es werden europäische Medien (immer in Englisch und zusätzlich nach Bedarf in Landesprache) entwickelt, um die Fortschritte des Europa Gedankens zu vermitteln. Diese Medien beheben auch die große Schwachstelle Europas, nämlich das Verständnis für wirtschaftliche Zusammenhänge.

5. Europa schafft neue industrielle Schwerpunkte, die besonders gefördert werden und zu denen alle durch gemeinsame Zusammenarbeit beitragen können. Als Start könnte man mit einer erweiterten Energiewende beginnen.


Europa, wie bist du hässlich geworden,
Lobbyisten haben dein kreatives Handeln verdorben.
Statt Zukunft und Zuversicht, nun Krisen und Sorgen.
Von unfähiger Politik regiert,
von gierigen Konzernen manipuliert.
Ohne tragfähige Konzepte, ohne sichere Rezepte,
Von Stümpern gestaltet, deine Ideen veraltet,
statt den besten hast du die schlechtesten gewählt.
Statt Freiheit Richtlinien, die niemand mehr versteht.
Das Schicksal der Menschen für dich nicht mehr zählt.
Bürger und Länder wenden sich ab von dir,
Zu recht, denn so ergeht es auch mir!


Guidelines for a New Europe

A. Do not continue with business as usual

1 Freeze all efforts for new extensions (moratorium for at least two years). It was a fundamental mistake to expand Europe so fast without a simple and workable constitution. Existing contracts will be respected, but there are no changes or new ones.

2 Adjust the Euro Zone so that the member states can either withdraw or live with a strong currency. It is dangerous to support countries permanently.

3 Drastically reduce agricultural subsidies. Invest that money in education to reduce the unemployment rate of the youth to an acceptable level. 

4 For now, no new directives (laws) from Brussels. The parliamentary sessions are reduced for the moratorium period to an absolute minimum.

5 For now, no new European patents or other intellectual property rights.

B. Develop a sustainable Europe

1 Europe's strengths are its diversity and creativity. Europe is therefore ideally suited to become a continent where ideas are created and developed much faster as in the past. 

2 European directives temporarily no longer break national law. It is up to the countries to accept them. This ensures that only sensible and proven proposals will prevail. New directives must strictly observe the principle of subsidiarity.

3 European agreements (bilateral or multilateral) save the citizens (at least long term) money and do not cause new expenses.

4 There will be (always in English and additionally as needed in local language) European media designed to convey the progress of the European idea. These media also fix some major flaws of Europe, including the understanding of economic issues.

5 Europe creates new industrial focal points, which will be funded and to which all can contribute through joint cooperation. 


Europe, how ugly you became,
Lobbyists have corrupted your creativity.
Instead of future and confidence,
now crises and concerns.
Ruled by incompetent policy,
manipulated by greedy corporations.
Without viable concepts, without safe recipes
Designed by bunglers, outdated your ideas
Instead of the best you've chosen the worst.
Instead of freedom guidelines that no one understands.
The fate of the people no longer counts for you.
Citizens and countries are turning away from you,
And rightly so, because that is what happens also to me!


Es ist noch nicht zu spät, das Ruder in die richtige Richtung zu drehen. Aber mit "Business as usual" werden wir schnell unsere globale Konkurrenzfähigkeit aufgeben. Vor allem müssen wir mehr liberales Handeln fördern, uns von vielen einengenden Vorschriften und Verfahren trennen, die Macht der Lobbyisten drastisch einschränken, aber auch weiterhin für Frieden sorgen.

Werde ich gefragt, welches Modell mir für Europa vorschwebt, dann ist es vor allem ein großer, gemeinsamer Wirtschaftsraum, aber mit weitgehend selbstbestimmten Regionen und der Verkehrssprache Englisch.

Europa wird ein dynamisches Konstrukt bleiben, wie es zu einem Kontinent der Ideen auch gehört. Und es wird lange dauern, bis die wichtigsten Schwachstellen behoben sein werden. Aber es wird auch ein spannender und fruchtbarer Weg sein, den vor allem die heutige Jugend gehen wird. Und wir alle können sie dabei unterstützen, in dem wir ihr nicht zu viel belastendes Erbe mit auf den Weg geben und sie gut auf die Herausforderungen vorbereiten.


Freude zum Schluss

INHALT

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