Ein ganzes Leben lang habe ich mir sagen lassen müssen, dass ich mich engagieren soll, dass ich eine Meinung haben und dafür auch eintreten soll, dass ich stets meinen Mund aufmachen soll, wenn ich was zu sagen habe, dass meine Stimme bei der Wahl einen Unterschied ausmacht, dass ich mich mitschuldig mache, wenn ich Unrecht nicht anprangere, dass ich helfen soll, wo immer es notwendig ist, dass ich Zivilcourage zeige.
Inzwischen habe ich Zweifel, ob dies wirklich immer die richtige Strategie war. Weniger, weil es gefährlich sein könnte oder gar, weil mir meine Ohnmacht bewusster wird. Nein, es lohnt sich letztendlich oft nicht, sich zu engagieren. Aufwand und Ergebnis stehen oft in keinem vernünftigen Verhältnis.
Ab meinem 66. Geburtstag habe ich - zuerst versuchsweise - begonnen, meine Meinung nicht mehr so deutlich zu äußern, wenn ich nicht direkt davon betroffen war, sondern habe gesagt: "Ist mir egal", präziser habe ich gedacht "ist mir scheißegal", aber das wiederhole ich nicht weiter.
Und siehe da, das war eine gute Strategie für mehr Frieden unter uns Freunden, von denen nur wenige meine politische Überzeugung teilen. Manche Bekannte, die mich vorher für ein Ekel gehalten haben, fanden mich nun ganz nett. Inzwischen war ich tolerant, weise, lebenserfahren, fair, ein guter Zuhörer, nicht mehr beleidigend, was will ich mehr.
Es ist mir schon klar, dass es nicht gerade ein Zeichen großer Vitalität ist, sich so zu verhalten, aber vielleicht ist es ein Zeichen großer Klugheit? Auf jeden Fall tut es meinem Blutdruck gut, ich schlafe besser, ich habe noch mehr Zeit und ich werde öfter eingeladen.
Alten Menschen wird oft nachgesagt, dass sie sich egoistisch verhalten. Vielleicht ist es aber gar nicht Egoismus, was sie treibt, sondern einfach Gelassenheit, die für sie wie ein Segen empfunden wird?
Menschen, die wie bei uns im Alter finanziell gut abgesichert sind, kann wirklich vieles egal sein. Wenn sie sich dazu bekennen können, ist es für sie eine Wohltat! Sie haben oft genug bangen müssen, kämpfen müssen, verteidigen müssen. Warum sollten sie sich jetzt nicht die Freiheit nehmen und sagen dürfen:
Es ist mir egal!
Es betrifft mich nicht und ich kann es auch nicht verändern!