OTTO BUCHEGGER ERZÄHLT

England war die Wiege der Industrialisierung. Hauptgrund war die Erfindung der Dampfmaschine. Mit Kohle (die es reichlich gab) und Wasser konnte man damit nun überall (zuerst mechanische und später auch elektrische) Energie erzeugen.

Die Dampfkessel, die man dazu brauchte waren anfangs störungsanfällig und konnten großen Schaden ausrichten. Es gab daher auch früh Bestrebungen sie sicherer zu machen. Sie waren seit 1866 die ersten Überwachungsbedürftigen Anlagen und ihre Überwachungsvereine die Vorläufer der heutigen Überwachungsvereine und damit auch des deutschen TÜV.

Die Revision oder Technische Überprüfung wurde so zum festen Bestandteil der Gesellschaft und sie wurde auch ein solides Geschäftsmodell. Man brauchte nur eine starke politische Lobby, die sie vorschrieb und konnte dann regelmäßig damit Geld verdienen. Wobei die Überprüfung fast immer getrennt von eventuellen Reparaturen oder der Wartung stattfand.

Als „Englische Krankheiten“ nenne ich hier alle Versuche auf ähnliche Art und Weise legal Geld zu verdienen und nicht die eigentliche Englische Krankheit oder Rachitis. Allen ist gemein, dass sie sehr unangenehm, aber nicht tödlich sind, aber auch, dass man dagegen vorbeugen könnte.

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Grundkonzepte

1. Organisation: Sie kann ganz verschieden sein. Häufige Formen sind Stiftungen, Vereine, Verbände, Clubs, Gremien, aber auch Aktiengesellschaften.

2. Produkte: Ganz vielfältig, zum Beispiel, Bewertungen, Siegel, Logos, Auskunfteien, Zertifikate, Auszeichnungen.

3. Typisch für alle ist, dass sie nur beschränkte Zeit gelten (zum Beispiel 2 Jahre), die Verwendung im Einzerfall wenig kostet, in der Masse aber viel einbringt und dass keine Garantie oder Haftung übernommen wird. Manchmal wird auch ein Mitgliedsbeitrag erhoben.

Wenn sich die Welt ändert

Nun ändert sich die Welt, aber einmal eingeführte Überprüfungen sind kaum wieder abzuschaffen. Erstens könnten sie ja doch etwas Sicherheit bieten und zweitens üben Lobbyorganisationen mit Angst oder Drohung meist genügend Druck aus, um die Politik davon abzuhalten.

Im Endeffekt führt es dazu, dass man zwangsweise Leistungen bezahlen muss, die keinen spürbaren Nutzen mehr haben. Und die damit entweder das Leben verteuern oder umgekehrt die Armut fördern.

Die zwangsweise Erhebung von Abgaben ohne Gegenwert ist so alt wie die Menschheit, vermute ich mal. Immer waren Menschen dazu verführt, besonders aber dann, wenn ohnehin schon ein gewisses Vakuum an Macht vorhanden war, das es erlaubt hat, sie auch durchzusetzen.

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ISO 9000

Ich fasse mich kurz: Die Umsetzung der Normenreihe war ein voller Erfolg für die Erfinder. Praktisch jeder musste mitmachen, ging es doch um Qualität. Der Aufwand war gewaltig und viele haben daran verdient. Dass die Welt dadurch besser geworden ist, will ich aber bezweifeln.

Zur Ehrenrettung aber auch etwas positives. Die dokumentierten Abläufe sind personenunabhängig, sie sind systematisch durchgesprochen und vereinbart, die Anforderungen der Kunden systematisch dokumentiert. Die Norm hilft also beim Housekeeping. Leider wird dieser Mehrwert von den allermeisten Unternehmen nicht erkannt und die beschriebene Prozesswelt baut eine Scheinwelt auf, die nichts mit der Realität zu tun hat.

Labels und Zertifikate

Ausgehend von Verbraucherschützern, aber durchaus auch als Marketinginstrument, werden wir übersät von Labeln und Zertifikaten, die diese bestätigen. Ich blicke nicht mehr durch, wenn ich ehrlich bin. Es bleibt mir also nicht anderes übrig, als sie zu ignorieren.

Früher haben Marken mein Kaufverhalten geprägt. War die Marke gut, dann hat man beim Kauf einen guten Gegenwert bekommen. Die Hersteller haben also alles getan, das Image der Marke zu pflegen. Und Konkurrenz auf funktionierenden Märkten war eine gute Garantie für die Aktualität. Das hat auch mir Sicherheit gegeben. Von Labels halte ich wenig. Im Gegenteil, sie nehmen auf der Verpackung Platz weg, den man zum Beispiel für eine Gebrauchsanleitung besser einsetzen könnte.

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Ratingagenturen

Eine Ratingagentur ist ein privates Unternehmen, das eine Kreditwürdigkeit bewertet. Hier sind alle Kritikpunkte gut zusammengefasst. Für mich sind sie nur ein Symbol, dass die Finanzwelt krank ist. Vor allem, weil sie viel zu komplex geworden und dadurch intransparent ist.

Was wäre fair?

Dass immer mehr Menschen auf externe Hilfe angewiesen sind, ist klar. Dass man für guten Rat bezahlen sollte, scheint auch plausibel zu sein. Aber die Berater müssen dann auch dafür haften. Das macht den Unterschied aus.

Um beim Beispiel Auto und TÜV zu bleiben: Bezahle ich die Untersuchung, dann bekomme ich auch die Garantie, dass im Falle eines Schadens der TÜV dann auch die Reparatur übernimmt. Das würde ich als fair ansehen. Manche Händler machen das und das ist auch gut so. Der TÜV nicht.

Stiftung Warentest war früher für viele Jahre für mich ein guter Berater. Gegen wenig Geld (für die Testergebnisse) hat ich anfangs gute Informationen bekommen. Aber dann wurde immer mehr auf Normenkonformität geachtet, als darauf, ob bestimmte Features auch Sinn machen.

Auch hat man oft – verständlicherweise – kaum wichtige Eigenschaften wie Langlebigkeit getestet. So habe ich einige (sehr teure) Zahnbürsten erstanden, die dann kurz nach Ablauf der Gantiezeit kaputt gingen.

Umgekehrt habe ich bei ALDI viele Produkte gekauft, die erstaunlich gut und dauerhaft funktioniert haben. ALDI scheint also die Produkte besser getestet zu haben, bevor sie ins Sortiment aufgenommen wurden.

Influencer, Soziale Netze, Bewertungs-Portale

Damit kommt eine ganz neue Dimension ins Spiel. Kann man ihnen dauerhaft trauen? Wer übernimmt die Verantwortung?

Sie alle haben ohne Zweifel Macht. Aber wo ist die Balance einer Gegenmacht? Genügt ein gelegentlicher Faktencheck? Ist der Journalismus zum Beispiel eine Gegenmacht?

Ich habe keine generellen Antworten dazu. Es fehlt ein Maßstab für Vertrauenswürdigkeit. Die Anzahl der Follower (oder wie immer sie auch heißen) sind keiner, so viel ist mir klar. Auch die Position ist eine Fehlanzeige, ich erinnere nur an einen ständig lügenden amerikanischen Präsidenten, der ungestraft davon kam. Auch auf „likes“ kann man sich nicht verlassen. Man kann sie sogar kaufen.

Bildung würde helfen, meinen viele, ich auch. Ein langwieriger Weg. Abstinenz ist eine andere radikale Antwort. Sie kann sich auch nicht jeder leisten. Man muss dafür schon sehr unabhängig sein!

Selbst auch lügen? „Wenn alle lügen, geht es relativ ehrlich zu“, habe ich oft zitiert. Nicht für jeden eine Antwort.

Als ich noch berufstätig war, umgeben von vielen gebildeten, intelligenten Menschen, hatte ich weniger Probleme mit diesen Fragen. Es gab zwar verschiedene Meinungen zu allen Themen, aber es war leicht abzuschätzen, wem man am besten trauen konnte. Der tägliche Umgang und die schnelle Überprüfung im Arbeitsalltag waren perfekte Indikatoren für Vertrauenswürdigkeit.

Eine große Familie oder ein zuverlässiger Freundeskreis könnten ein guter Ersatz dafür sein. Die Medien sind es eher nicht.

Zusammenfassung

Wir werden weiterhin Opfer der Englischen Krankheiten bleiben. Parteien könnten uns bei Wahlen Alternativen dazu bieten. Sie tun es nicht, meine traurige Erfahrung.

Durch den Brexit sind in Zukunft weniger Einflüsse vom Vereinigten Königreichs zu erwarten. Hoffentlich ein Vorteil für die EU. Aber wenn ich mir das EU Impfdesaster 2021 und manche Entscheidungen der EZB anschaue (Ankauf von Staatsanleihen), dann wird klar, dass wir in der EU auch alleine totales Versagen in wichtigen Fragen hinkriegen.


Ist es politisch korrekt, ein allgemeines Phänomen als Krankheit eines Landes zu bezeichnen? Nein, ist es nicht. Aber wenn ich mich an die Dreckschlachten gegen die EU im Vorfeld des Brexits erinnere, dann ist eine kleine, polemische Revanche dazu diesmal durchaus angebracht, meine ich. (E-Mail).

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